Ich hätte nicht gedacht, dass ein Hund auch psychologisch eine solche Herausforderung ist. Ein Extrembeispiel: Es ist kalt. Sehr, sehr kalt. Mit Strumpfhose, Handschuhen und Mütze ausgerüstet kommt die Zweibeinerin mit ihrer Vierbeinerin zum Alltagstraining. Lotte stellt sich schon auf dem Weg dahin dumm an, zieht wie verrückt an der Leine, will sich nicht beruhigen lassen. Leicht entnervt erreichen wir die Hundewiese, ganz im Gegenteil zu den zwei anderen Teilnehmerpärchen, zweimal weibliche Zweibeinerin, zweimal männlicher Hund, alle vier machen einen sehr entspannten Eindruck. Die Hunde dürfen gemeinsam spielen, bevor es ernsthaft losgeht. Die anderen beiden finden das lustig, mehr nicht. Lotte fliegt hingegen auf die zwei zu, als hätte sie die letzten hundert Jahre keinen anderen Hund mehr von nahem gesehen. Sie ist ein Spezialfall, ich weiss es. Sie frisst gern, sie läuft gern. Aber mit anderen spielen – das ist für sie das Allergrösste. Wir wechseln in Richtung Wald. Die anderen pläuderlen entspannt mit der Trainerin. Lotte und ich, wir sind mit uns beschäftigt. Entspannt mitpläuderlen? Lotte würde nur die anderen Hunde bespassen wollen. Kein Spass für mich.

Die offizielle Stunde geht los, Lotte und ich sind schon am Ende, bevor es angefangen hat. Ohne Leine sollen wir vorausgehen, der Hund soll bei uns bleiben. Ein neuer Befehl, es klappt leidlich. Vorbildlich gehen die anderen mit ihren Hunden hinterher. Lotte schnuppert an Bäumchen links, Stöckchen rechts, schaut hier, gräbt da ein bisschen. Ich werde immer entnervter und ahne – das ist nicht unser Tag. Warum nur müssen unsere Hunde so unsere Spiegel sein? Kann sie nicht mal mich beruhigen? Muss es immer so sein, dass meine Unruhe sich in ihr potenziert?

Jetzt Fusslaufen. Die anderen Pärchen bauen sich auf, wir sollen im Slalom um Hund und Zweibeinerin herumgehen. Eine monströs schwere Übung für Lotte. Sie schafft es ganz gut, weicht einmal nach links, einmal nach rechts aus, lässt aber die anderen Hunde in Ruhe. Ich allerdings scheitere auf der ganzen Linie: Wie soll ich gleichzeitig Hundeleine halten, clickern, Leckerlis verteilen und Hand vor die Hundeschnauze halten? Bei den Temperaturen, also mit schmerzenden Händen? Das überfordert mich völlig. Ein Team ist nur so gut wie die einzelnen Teile. Ich weiss. Das Problem liegt am anderen Ende der Leine. Ich weiss. Manchmal kann Wissen Marter sein.

Am Ende machen wir zwei einen zügigen Spaziergang durch den Wald und über die Allmend. Lotte darf rennen, ich schnell laufen. Es ist beruhigend. Für uns beide.

Es ist ja nicht nur ein Problem aus dem Hundekurs. Auch auf dem stinknormalen Alltagsspaziergang kommt es vor, dass mir etwas über die Leber läuft, was-weiss-ich-was. Man gibt sich zwar ständig und immer und überall die allergrösste Mühe. Aber man ist auch nur ein Mensch. Und prompt wird Lotte immer nerviger, schnuppert intensiv hier, schnuppert intensiv da. Findet da was zum Fressen, da was zum Schnuppern. Wir kommen überhaupt nicht vorwärts – und meine Laune wird immer mieser.

Nur selten schaffe ich es, meinen ohnehin schon wilden Hund ruhiger zu machen. Wie? Ganz einfach: In dem ich selbst tief durchatme. Ruhig werde. Über meinen eigenen Schatten springe. Dann ist Lotte wieder mein Spiegel – und wird auch ruhig. Es funktioniert zum Glück in beide Richtungen.