Der Pragelpass hat mich schon immer fasziniert, seit ich mal im Gasthaus Richisau übernachtet habe und von dort aus im Bogen zum Pass gelaufen bin. Vor dem Gasthaus kommen die Radfahrer vorbei, entweder schön langsam von unten oder rasend schnell von oben. Ausserdem geht der Weg am Klöntalersee entlang, der wie verwunschen (und in echt wie gestaut, nachdem ihn vorher ein Bergrutsch schon aufgestaut hatte) auf halber Strecke von Glarus hinauf plötzlich vor einem liegt. Der Kanton Glarus hat auch eine gewisse mythische Faszination, denn er ist ganz nah bei Zürich und doch wähnt man sich sofort in einer anderen Welt. 

Der Pragelpass also sollte es sein, den ich mit Lotte in zwei Etappen unter die Füsse nehmen wollte. Zuerst vom Ort Glarus aus bis Richisau, etwas oberhalb vom See. Dann von Richisau am nächsten Tag über den Pass hinunter ins Muotathal, das schon wegen der «Wätterschmöcker», der Wetterschmecker, einer Gruppe alter Männer, die vorhersagen, wie das Wetter wird, und wegen des gleichnamigen Dokumentarfilms (seither bin ich Fan der Gruppe Hujässler) auch verschroben-faszinierend ist. Am Morgen also auf nach Glarus. Kaum kommt die Sonne durch die dicken Wolken, als wir die letzten Häuser des Ortes hinter uns lassen und uns immer weiter nach oben schrauben. Ein schönes Stück geht am Bach Löntsch entlang, ruhig, tief im Wald, unten der Bach, der vor sich hinrauscht. 

Dann das Wunder: Um die Ecke der Klöntalersee, halb im Nebel, halb schon in der Sonne. Einkehr im Restaurant, Stärkung mit Zigersuppe. Dann weiter. Der Wanderweg ist auf der linken Seite, zum Berg hin gesehen, die Autostrasse auf der rechten. Der Wanderweg im Schatten, vorerst. Die Strasse in der Sonne. Lange überlege ich, ob wir nicht hätten Strasse gehen sollen, so trüb und suppig ist es auf unserer Seite. Dann ist es, als zöge jemand den Vorhang weg, ganz langsam, Stückchen für Stückchen. Fast wie im Theater. Die herbstverfärbten Bäume werden von der Sonne noch mehr vergoldet, die Boote schaukeln, mit blauer Persenning bespannt, auf dem blaugrünen Wasser. Traumhaft. So ruhig, so friedlich. Und Lotte voll im Element, so nah am Wasser.

Am Ende des Sees hat die Sonne endgültig gewonnen. Und wir laufen ohne Schatten weiter. Es ist nicht mehr weit, sagt mein Kopf, aber meine Füsse und Beine finden es zunehmend anstrengend. Auch Lotte verweigert zwischendurch das Weitergehen, lässt ihren dicken Hintern ins Laub plumpsen und ist nicht zum Fortsetzen zu bewegen. Also eine Pause, mit Wasser für Lotte, Müsliriegel für mich, Leckerlis hat sie schon genug bekommen, so oft wie ich sie immer wieder an die Leine rufen musste und dann wieder freilaufen lassen konnte, als andere Fussgänger weg waren. Es ist nicht der Hunger, der sie japsen lässt, sondern die Müdigkeit und die Hitze. Das letzte Stück steigt parallel zur Strasse, immer wieder über Kuhweiden und durch den Wald den Hang hinauf. Es zieht sich wie Kaugummi. Auch weil ich, (wie ich immer erst hinterher feststelle,) böse unterzuckert bin und mir drum jeder Schritt zur Qual wird. 

Im Gasthaus angekommen zeigt sich, dass der Wirt und sein Team die Sache nicht ganz im Griff haben. Gerade erst sei eine grosse Gruppe abgereist, die Zimmer daher noch nicht gemacht. Es ist längst Nachmittag, zum Draussensitzen ist es schon zu kalt, so verschwitzt wie ich bin. Sie merken dann irgendwann, dass sie mein Zimmer vorziehen sollten, zum Verdruss der Leute, die allesamt nach mir kommen. Es dauert gefühlt ewig, aber als wir endlich ins Zimmer kommen, sinke ich – nach einer Dusche – ermattet in die Horizontale. Da ist Lotte natürlich schon längst. Sie wird sich, denke ich mir, wohl noch an die Fliegen erinnern, die ihr vor allem im Speisesaal keine Ruhe gönnen. Immer wieder schreckt sie auf, sie war sicherlich total froh, als ich endlich aufgemampft hatte und wir uns wieder ins Zimmer verzogen. 

Route: Swissmobil No 29 Pragelpass, Etappe 3 und 2 oder No 55 Via Suworow, Etappe 8 und 7. Link hier